Zunächst ist fraglich, ob die Kommission überhaupt die Kompetenz besitzt, in irgendeiner Weise Einfluß auf den Rundfunk in Europa zu nehmen.
Grundsätzlich
ist nach dem deutschen Verfassungsrecht der Rundfunk Ländersache. Dies
ergibt sich aus Art. 30 GG, wonach die Ausübung der staatlichen Befugnisse
Sache der Länder ist, soweit das GG nichts anderes bestimmt. Damit sind
die Länder mangels anderweitiger Kompetenzzuweisung im GG für das
Rundfunkwesen zuständig.[8]
Der Bund kann jedoch nach Art. 23 I 2 GG Hoheitsrechte auf die europäische
Union übertragen, was er mit dem EU-Vertrag getan hat. Damit können
der Kommission im EU-Vertrag Kompetenzen übertragen sein, die ansonsten
den Ländern zustehen würden, auch im Rundfunkbereich. Der Rundfunk
ist jedoch im EGV nicht ausdrücklich erwähnt.[9] Dennoch können sich solche Kompetenzen ergeben, wenn
der Rundfunk in Bereiche eingreift, in denen die Kommission Kompetenzen hat.
Dies könnte das Wettbewerbsrecht sein. Private Rundfunkanstalten
untereinander, aber auch private und öffentlich-rechtliche
Rundfunkanstalten stehen in Wettbewerb zueinander. Dennoch sehen einige Autoren
den Rundfunk vornehmlich unter Kulturgesichtspunkten und verneinen daher eine
Kompetenz der EU im Rundfunkwesen[10]. Dagegen
vertritt der EuGH die Ansicht, Rundfunkveranstalter seien Unternehmer im Sinne
des Art. 85 und 86 EGV, was auch für den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk gelte[11]. Diese Auffassung , die
mittlerweile auch in der Literatur überwiegend vertreten wird[12], überzeugt. Das Fernsehen in Europa ist
zu einem Markt geworden, auf dem ein scharfer Wettbewerb um Einschaltquoten und
Werbeeinnahmen entbrannt ist. Damit spielt das Wettbewerbsrecht im Bereich des
Rundfunks, insbesondere bei seiner Finanzierung, eindeutig eine Rolle. Der
Kommission als Hüterin des Wettbewerbs steht damit auch im Bereich des
Wettbewerbs zwischen Rundfunksendern grundsätzlich eine Kontrollbefugnis
zu.
Nun stellt sich die Frage nach den Grenzen dieser Befugnis. Dafür lassen
sich vor allem 3 Ansatzpunkte nennen: das Prinzip der begrenzten
Einzelermächtigung nach Art 3b I EUV, die Pflicht zur Rücksichtnahme
auf die Verfassungen der Mitgliedstaaten, die aus dem Gebot der
Gemeinschaftstreue des Art. 5 EUV hergeleitet wird[13] und das Subsidiaritätsprinzip, das in Art. 3b EUV in
der Fassung des Vertrags von Amsterdam stehen wird. Alle Ansatzpunkte
führen zum gleichen Ergebnis: Die Kontrollbefugnisse der Kommission
entsprechen ihren wettbewerbsrechtlichen Kompetenzen nach Art. 85 ff EUV.
Darüber hinausgehende Kontrollen der Kommission wären folglich ein
Eingriff in die Rundfunkhoheit der Länder.
Nun ist zu prüfen, ob der Kommission anhand des EUV im Rundfunkbereich tatsächlich solche umfassenden Kontrollbefugnisse zustehen, wie im Van-Miert-Papier skizziert.
Nach
Ansicht der GD IV ist die Finanzierung des Rundfunks durch den Staat bzw. durch
Gebühren eine staatliche Beihilfe im Sinne des Art 92 I EGV. Diese
Auslegung ist nicht unumstritten. Bei einer Anhörung von
Wettbewerbsexperten der 15 Mitgliedsstaaten am 20. Oktober 98 bestritten die
deutschen Vertreter, daß es sich bei den deutschen Rundfunkgebühren
um Beihilfen handelt, denn dies setze eine Begünstigung ohne Gegenleistung
voraus. Dies sei in Deutschland nicht gegeben, da der
öffentlich-rechtliche Rundfunk verfassungsrechtlich dazu verpflichtet sei,
Programmvielfalt und flächendeckende Verbreitung sicherzustellen.[14] In der Tat ist es nach einer Ansicht in der
Literatur die unbedingte Voraussetzung einer Beihilfe, daß sie ohne
Gegenleistung erfolgt, da nur dies eine sichere Abgrenzung der Beihilfen von
der sonstigen Wirtschaftslenkung erlaube[15].
Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen, da Art. 92 I bewußt sehr weit
formuliert ist und auch weit ausgelegt wird. Eine Eingrenzung auf die
Unentgeltlichkeit würde aber den Staaten ein Instrument an die Hand geben,
Art. 92 zu umgehen. Die Unentgeltlichkeit ist also nicht per se Voraussetzung,
es kommt vielmehr darauf an, ob die Zahlung eine Kompensation für
staatlich verordnete Leistungen des Unternehmens darstellt[16]. Dabei ist darauf abzustellen, ob die staatliche Leistung
einem normalen wirtschaftlichen Vorgang entspricht, das heißt ob ein
privates Unternehmen die gleichen Investitionen hätte vornehmen
müssen.[17] In der Literatur wird oft
behauptet, das Gebührenermittlungsverfahren in Deutschland stelle sicher,
daß eine Überfinanzierung nicht stattfinde[18]. Das ist jedoch offensichtlich nicht so. Bei der
Ermittlung des Gebührenbedarfs spielt es keine Rolle, ob ein Privatsender
für die gleiche Aufgabe die gleichen Mittel aufwenden müßte.
Dies zeigt sich schon am wesentlich höheren Personalaufwand der
öffentlich-rechtlichen Sender für vergleichbare Programme. Es kann
daher durchaus sein, daß die Gebührenfinanzierung den eigentlich
für die Aufgabe notwendigen Rahmen sprengt. Dazu kommt, daß es den
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gestattet ist, ihr Budget noch
zusätzlich mit Werbung aufzustocken, wobei diese Einnahmen der Anrechnung
auf die Gebühren entzogen sind. Eine Überfinanzierung ist also
durchaus möglich. Die Leistungen der Rundfunkanstalten im öffentliche
Auftrag schließen daher die Einordnung der Gebühren als Beihilfen
nicht grundsätzlich aus[19].
Es könnte aber dem Begriff der Beihilfe widersprechen, daß die
Rundfunkanstalten nicht durch direkte staatliche Zahlungen, sondern durch
Gebühren finanziert werden. Nach einer Ansicht in der Literatur ist der
Beihilfebegriff nicht auf die deutschen Rundfunkgebühren anwendbar, da es
sich nicht um eine Finanzierung aus staatlichen Mitteln handele und die Vergabe
mit der KEF einer "staatsfernen" Organisation obliege[20]. Dies widerspricht jedoch der Rechtsprechung des EuGH,
der auch staatlich organisierte Zwangsbeiträge als Beihilfe im Sinne des
Art. 92 ansieht[21]. Es kommt dabei gerade
nicht darauf an, ob die Mittel staatlichen Ursprungs sind, sondern ob ihre
Vergabe staatlich reglementiert ist[22]. Nach
Ansicht des EuGH ist darüber hinaus nicht danach zu unterscheiden, ob die
Beihilfen unmittelbar durch den Staat oder durch von ihm zur Durchführung
der Beihilferegelung eingerichtete oder beauftragte öffentliche oder
private Einrichtungen gewährt wird. Es komme auf die Auswirkungen der
Beihilfe und nicht auf ihre Organisation an.[23] Die Ansicht des EuGH überzeugt. Da sich Staaten aus
Steuern finanzieren, beruhen letztlich alle ihre Beihilfen auf Zahlungen der
Bürger. Zweckgebundene Abgaben vom Beihilfebegriff auszunehmen
hieße, den Staaten eine Hintertür zu öffnen, um damit die
Wettbewerbskontrolle der Kommission auszuschalten. Letztlich hat es auf die
Wirkung der Beihilfe keinen Einfluß, wie sie entsteht. Auch kann es
keinen Unterschied machen, ob die Durchführung einer staatlichen
Behörde oder einer beliehenen Organisation obliegt, solange der Staat die
Modalitäten der Förderung in Händen behält. Die KEF ist
außerdem erstens alles andere als "staatsfern", ihre Mitglieder werden
von den Ministerpräsidenten bestimmt[24],
zweitens entscheidet sie nur über den Gebührenbedarf, die Verteilung
ist Sache der Länder[25].
Die Gebührenfinanzierung des Rundfunks fällt daher unter den Begriff
der Beihilfe des Art. 92 I EGV. Damit hat die Kommission nach Art. 93 I EGV
grundsätzlich die Kompetenz, die Rundfunkfinanzierung in den
Mitgliedstaaten zu überprüfen.
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten könnten jedoch unter Art. 90 II EGV fallen, wonach auf Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, die Wettbewerbsregeln und damit auch Art. 92 keine Anwendung finden, wenn sie die Erfüllung der besonderen Aufgabe verhindern würden. Der EuGH hat in seiner Almelo-Entscheidung festgehalten, daß auch für die Erfüllung staatlich festgelegter Aufgaben notwendige Wettbewerbsbeschränkungen zulässig sind, wobei der staatliche Auftrag das allgemeine wirtschaftliche Interesse indiziert[26]. Der EuGH hat jedoch auch entschieden, daß eine solche Wettbewerbsbeschränkung nicht schrankenlos vom Staat verordnet werden kann, sondern Grenzen hat, die von den Mitgliedstaaten einzuhalten sind[27]. Auf die Rundfunkanstalten übertragen bedeutet dies, daß die Mitgliedstaaten in der Definition der Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks frei sind, denn damit definieren sie eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse[28]. Damit widersprechen die Ausführungen im Van-Miert-Papier in den Punkten dem Geist von Art. 90 II, in denen die GD IV den Mitgliedstaaten vorschreiben will, welche Themengebiete zum öffentlichen Auftrag der Rundfunkanstalten gehören sollen und welche nicht. Denn aus der Rechtsprechung des EuGH geht eindeutig hervor, daß die Festlegung, was eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ist, allein den Mitgliedstaaten obliegt. In seinen Rahmenbedingungen aber, und dazu gehört auch die Finanzierung, haben sie die Grenzen der Verhältnismäßigkeit einzuhalten.. Für die Einhaltung dieser Grenzen wird man der Kommission als Hüterin des Wettbewerbs eine Kontrollfunktion nicht absprechen können. Die Kommission kann damit eingreifen, wenn die Rahmenbedingungen der Rundfunkfinanzierung so gestaltet sind, daß eine Wettbewerbsverzerrung zwischen den privaten und den öffentlich-rechtlichen Veranstaltern entsteht. Eine solche Wettbewerbsverzerrung ist in Ländern, in denen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten neben den Gebühren noch Werbeeinnahmen erzielen dürfen, nicht von de Hand zu weisen. So kann z. B. die ARD mit Hilfe eines Gebührenfinanzierten Korrespondentennetzes die Tagesschau als erfolgreichste deutsche Nachrichtensendung produzieren und in den Minuten zuvor die teuersten Werbeminuten des deutschen Fernsehens verkaufen. Ein anderes Beispiel: ARD und ZDF stellen als Argument für Fernsehwerbung bei ihnen gerne ihre hohe Reichweite von fast 100 % heraus. Auch diese wird durch Gebühren finanziert. So werden Gebühren dazu verwendet, um im Wettbewerb um Werbekunden gegenüber den Privatsendern im Vorteil zu sein. Ob die 20-Uhr-Werbegrenze ausreicht, um diese Wettbewerbsverzerrung auszugleichen, erscheint angesichts der genannten Beispiele mehr als fraglich. Im Bereich des Rundfunkwerbemarktes besteht also eine Wettbewerbsverzerrung im Sinne des Art. 90 II EGV, die der Kommission ein Eingriffsrecht beläßt.
Möglicherweise
haben die Mitgliedstaaten in der Protokollerklärung zum Vertrag von
Amsterdam, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betrifft jedoch eine
Sonderregelung geschaffen, die die Rundfunkfinanzierung der Kontrollbefugnis
der Kommission entzieht. So sehen es jedenfalls alle deutschen Politiker und
Intendanten, die sich bisher zu dem Thema geäußert haben[29]. Der Text des Protokolls ist jedoch alles
andere als klar formuliert. Für die Interpretation ist es daher wichtig,
den dahinterstehenden Willen der Mitgliedstaaten zu beachten. Der kommt in
einer neueren Entschließung des Rats der EU-Kulturminister[30] zum Ausdruck: Es sollte klargestellt werden, daß
die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Finanzierung des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks von Gemeinschaftsrecht nicht
eingeschränkt wird, solange er in den Grenzen des gemeinsamen Interesses
bleibt. Außerdem wird das Recht der Mitgliedstaaten, den Programmauftrag
des Rundfunks selbst zu bestimmen, betont. Dieser Punkt war den Vertretern wohl
ungemein wichtig, er kommt in der Entschließung insgesamt dreimal vor.
Des weiteren wird die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
herausgestellt und betont, daß er an den neuen Technologien teilhaben
sollte. Damit wird die Einordnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als
Dienst von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse bekräftigt und ein
"Schattendasein" klar abgelehnt.
Dadurch bekräftigt die Protokollerklärung den bereits zu Art. 90 II
formulierten Grundsatz, daß allein die Mitgliedstaaten das Recht
haben, den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag festzulegen. Die
Kommission hat in diesem Bereich keinerlei Kompetenz. Außerdem werden in
der Entschließung Zielvorgaben deutlich, die den Fortbestand des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks in konkurrenzfähiger Form fordern.
Dies setzt der Kommission bei der Ausübung ihrer Kontrollbefugnis weitere
Grenzen. Damit wird dem Modell 3 des Van-Miert-Papiers, das auf eine
Zurückdrängung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zielt, eine
klare Absage erteilt. Allerdings setzt die Protokollerklärung dem Recht
der Mitgliedstaaten bei der Rundfunkfinanzierung auch klare Grenzen,
nämlich die Beeinträchtigung der Wettbewerbsbedingungen in einem
unvertretbaren Ausmaß. Wie bereits dargestellt, besteht auf dem
Rundfunkwerbemarkt eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung. Das Protokoll zum
Vertrag von Amsterdam schließt daher Eingriffe der Kommission in diesem
Bereich nicht aus.
Massive Kontrollbefugnisse für die Programmaufträge des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie in dem Papier gefordert, wären also in der Tat ein Eingriff in die Rundfunkhoheit der Länder. Dies gilt jedoch nicht für die Vorschläge zur Begrenzung der Werbeeinnahmen, denn dabei handelt es sich um die Wahrnehmung wettbewerbsrechtlicher Kontrollbefugnisse. Die Europäische Kommission hätte also durchaus die Kompetenz, wie im Van-Miert-Papier angedacht, ein Werbeverbot für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auszusprechen.
[8] vgl. Ricker / Schiwi, B RN 208
[9] Ricker / Schiwi, H RN 6
[10] vgl. Ricker / Schiwi, C RN 10 m. w. N.
[11] EuGH C-260/89, EuGRZ 1991, 274
[12] vgl. Ricker / Schiwi, C RN 11 m. w. N
[13] Dörr, S. 57 ff
[14] FK 44/98, 11
[15] Schina, State Aids under the EEC Treaty,
Articles 92 to 94, RN 50
[16] vgl. EuGH 240/83, Slg 1985, 531
[17] Groeber / Thiebig / Ehlemann - Wenig,
Kommentar zum EWG-Vertrag, § 92 RN 5
[18] Ring § 12 RStV RN 50
[19] ebenso: von Wallenberg, "Rundfunk und
EG-Beihilferecht", Medien und Recht 98, 166
[20] Ricker / Schiwi, C RN 96 d
[21] EuGH 222/82, Slg. 1983, 4083
[22] Groeber /Thiebig / Ehlemann - Wenig,
Kommentar zum EWG-Vertrag, § 92 RN 10
[23] EuGH 78/76, Slg. 1977, 595
[24] Ricker / Schiwi, C RN 92
[25] Ricker / Schiwi, C RN 77
[26] EuGH Slg. 1994, 1477 (Almelo)
[27] EuGH Slg. 1993, 2533 (Corbeau)
[28] Dörr, S. 49 f
[29] Kurt Beck, FK 40/98, 18; Reinhard Klimmt,
FK 43/98, 7, Dieter Stolte, epd 78/98, 8
[30] Entschließung des Rats der
EU-Kulturminister, FK 47/98, 37