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2. Eingriff in die Rundfunkhoheit der Länder ?


Zunächst ist fraglich, ob die Kommission überhaupt die Kompetenz besitzt, in irgendeiner Weise Einfluß auf den Rundfunk in Europa zu nehmen.

2.1. Rundfunkhoheit der Länder contra EU-Recht

Grundsätzlich ist nach dem deutschen Verfassungsrecht der Rundfunk Ländersache. Dies ergibt sich aus Art. 30 GG, wonach die Ausübung der staatlichen Befugnisse Sache der Länder ist, soweit das GG nichts anderes bestimmt. Damit sind die Länder mangels anderweitiger Kompetenzzuweisung im GG für das Rundfunkwesen zuständig.[8]
Der Bund kann jedoch nach Art. 23 I 2 GG Hoheitsrechte auf die europäische Union übertragen, was er mit dem EU-Vertrag getan hat. Damit können der Kommission im EU-Vertrag Kompetenzen übertragen sein, die ansonsten den Ländern zustehen würden, auch im Rundfunkbereich. Der Rundfunk ist jedoch im EGV nicht ausdrücklich erwähnt.[9] Dennoch können sich solche Kompetenzen ergeben, wenn der Rundfunk in Bereiche eingreift, in denen die Kommission Kompetenzen hat.
Dies könnte das Wettbewerbsrecht sein. Private Rundfunkanstalten untereinander, aber auch private und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten stehen in Wettbewerb zueinander. Dennoch sehen einige Autoren den Rundfunk vornehmlich unter Kulturgesichtspunkten und verneinen daher eine Kompetenz der EU im Rundfunkwesen[10]. Dagegen vertritt der EuGH die Ansicht, Rundfunkveranstalter seien Unternehmer im Sinne des Art. 85 und 86 EGV, was auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gelte[11]. Diese Auffassung , die mittlerweile auch in der Literatur überwiegend vertreten wird[12], überzeugt. Das Fernsehen in Europa ist zu einem Markt geworden, auf dem ein scharfer Wettbewerb um Einschaltquoten und Werbeeinnahmen entbrannt ist. Damit spielt das Wettbewerbsrecht im Bereich des Rundfunks, insbesondere bei seiner Finanzierung, eindeutig eine Rolle. Der Kommission als Hüterin des Wettbewerbs steht damit auch im Bereich des Wettbewerbs zwischen Rundfunksendern grundsätzlich eine Kontrollbefugnis zu.
Nun stellt sich die Frage nach den Grenzen dieser Befugnis. Dafür lassen sich vor allem 3 Ansatzpunkte nennen: das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nach Art 3b I EUV, die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Verfassungen der Mitgliedstaaten, die aus dem Gebot der Gemeinschaftstreue des Art. 5 EUV hergeleitet wird[13] und das Subsidiaritätsprinzip, das in Art. 3b EUV in der Fassung des Vertrags von Amsterdam stehen wird. Alle Ansatzpunkte führen zum gleichen Ergebnis: Die Kontrollbefugnisse der Kommission entsprechen ihren wettbewerbsrechtlichen Kompetenzen nach Art. 85 ff EUV. Darüber hinausgehende Kontrollen der Kommission wären folglich ein Eingriff in die Rundfunkhoheit der Länder.

2.2. Wettbewerbsrechtliche Eingriffskompetenzen

Nun ist zu prüfen, ob der Kommission anhand des EUV im Rundfunkbereich tatsächlich solche umfassenden Kontrollbefugnisse zustehen, wie im Van-Miert-Papier skizziert.

2.2.1. Rundfunkgebühren als Beihilfen (Art. 92 I)

Nach Ansicht der GD IV ist die Finanzierung des Rundfunks durch den Staat bzw. durch Gebühren eine staatliche Beihilfe im Sinne des Art 92 I EGV. Diese Auslegung ist nicht unumstritten. Bei einer Anhörung von Wettbewerbsexperten der 15 Mitgliedsstaaten am 20. Oktober 98 bestritten die deutschen Vertreter, daß es sich bei den deutschen Rundfunkgebühren um Beihilfen handelt, denn dies setze eine Begünstigung ohne Gegenleistung voraus. Dies sei in Deutschland nicht gegeben, da der öffentlich-rechtliche Rundfunk verfassungsrechtlich dazu verpflichtet sei, Programmvielfalt und flächendeckende Verbreitung sicherzustellen.[14] In der Tat ist es nach einer Ansicht in der Literatur die unbedingte Voraussetzung einer Beihilfe, daß sie ohne Gegenleistung erfolgt, da nur dies eine sichere Abgrenzung der Beihilfen von der sonstigen Wirtschaftslenkung erlaube[15]. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen, da Art. 92 I bewußt sehr weit formuliert ist und auch weit ausgelegt wird. Eine Eingrenzung auf die Unentgeltlichkeit würde aber den Staaten ein Instrument an die Hand geben, Art. 92 zu umgehen. Die Unentgeltlichkeit ist also nicht per se Voraussetzung, es kommt vielmehr darauf an, ob die Zahlung eine Kompensation für staatlich verordnete Leistungen des Unternehmens darstellt[16]. Dabei ist darauf abzustellen, ob die staatliche Leistung einem normalen wirtschaftlichen Vorgang entspricht, das heißt ob ein privates Unternehmen die gleichen Investitionen hätte vornehmen müssen.[17] In der Literatur wird oft behauptet, das Gebührenermittlungsverfahren in Deutschland stelle sicher, daß eine Überfinanzierung nicht stattfinde[18]. Das ist jedoch offensichtlich nicht so. Bei der Ermittlung des Gebührenbedarfs spielt es keine Rolle, ob ein Privatsender für die gleiche Aufgabe die gleichen Mittel aufwenden müßte. Dies zeigt sich schon am wesentlich höheren Personalaufwand der öffentlich-rechtlichen Sender für vergleichbare Programme. Es kann daher durchaus sein, daß die Gebührenfinanzierung den eigentlich für die Aufgabe notwendigen Rahmen sprengt. Dazu kommt, daß es den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gestattet ist, ihr Budget noch zusätzlich mit Werbung aufzustocken, wobei diese Einnahmen der Anrechnung auf die Gebühren entzogen sind. Eine Überfinanzierung ist also durchaus möglich. Die Leistungen der Rundfunkanstalten im öffentliche Auftrag schließen daher die Einordnung der Gebühren als Beihilfen nicht grundsätzlich aus[19].
Es könnte aber dem Begriff der Beihilfe widersprechen, daß die Rundfunkanstalten nicht durch direkte staatliche Zahlungen, sondern durch Gebühren finanziert werden. Nach einer Ansicht in der Literatur ist der Beihilfebegriff nicht auf die deutschen Rundfunkgebühren anwendbar, da es sich nicht um eine Finanzierung aus staatlichen Mitteln handele und die Vergabe mit der KEF einer "staatsfernen" Organisation obliege[20]. Dies widerspricht jedoch der Rechtsprechung des EuGH, der auch staatlich organisierte Zwangsbeiträge als Beihilfe im Sinne des Art. 92 ansieht[21]. Es kommt dabei gerade nicht darauf an, ob die Mittel staatlichen Ursprungs sind, sondern ob ihre Vergabe staatlich reglementiert ist[22]. Nach Ansicht des EuGH ist darüber hinaus nicht danach zu unterscheiden, ob die Beihilfen unmittelbar durch den Staat oder durch von ihm zur Durchführung der Beihilferegelung eingerichtete oder beauftragte öffentliche oder private Einrichtungen gewährt wird. Es komme auf die Auswirkungen der Beihilfe und nicht auf ihre Organisation an.[23] Die Ansicht des EuGH überzeugt. Da sich Staaten aus Steuern finanzieren, beruhen letztlich alle ihre Beihilfen auf Zahlungen der Bürger. Zweckgebundene Abgaben vom Beihilfebegriff auszunehmen hieße, den Staaten eine Hintertür zu öffnen, um damit die Wettbewerbskontrolle der Kommission auszuschalten. Letztlich hat es auf die Wirkung der Beihilfe keinen Einfluß, wie sie entsteht. Auch kann es keinen Unterschied machen, ob die Durchführung einer staatlichen Behörde oder einer beliehenen Organisation obliegt, solange der Staat die Modalitäten der Förderung in Händen behält. Die KEF ist außerdem erstens alles andere als "staatsfern", ihre Mitglieder werden von den Ministerpräsidenten bestimmt[24], zweitens entscheidet sie nur über den Gebührenbedarf, die Verteilung ist Sache der Länder[25].
Die Gebührenfinanzierung des Rundfunks fällt daher unter den Begriff der Beihilfe des Art. 92 I EGV. Damit hat die Kommission nach Art. 93 I EGV grundsätzlich die Kompetenz, die Rundfunkfinanzierung in den Mitgliedstaaten zu überprüfen.

2.2.2. Rundfunk als Dienstleistung von allgem. wirtschaftl. Interesse (Art. 90 II)

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten könnten jedoch unter Art. 90 II EGV fallen, wonach auf Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, die Wettbewerbsregeln und damit auch Art. 92 keine Anwendung finden, wenn sie die Erfüllung der besonderen Aufgabe verhindern würden. Der EuGH hat in seiner Almelo-Entscheidung festgehalten, daß auch für die Erfüllung staatlich festgelegter Aufgaben notwendige Wettbewerbsbeschränkungen zulässig sind, wobei der staatliche Auftrag das allgemeine wirtschaftliche Interesse indiziert[26]. Der EuGH hat jedoch auch entschieden, daß eine solche Wettbewerbsbeschränkung nicht schrankenlos vom Staat verordnet werden kann, sondern Grenzen hat, die von den Mitgliedstaaten einzuhalten sind[27]. Auf die Rundfunkanstalten übertragen bedeutet dies, daß die Mitgliedstaaten in der Definition der Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks frei sind, denn damit definieren sie eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse[28]. Damit widersprechen die Ausführungen im Van-Miert-Papier in den Punkten dem Geist von Art. 90 II, in denen die GD IV den Mitgliedstaaten vorschreiben will, welche Themengebiete zum öffentlichen Auftrag der Rundfunkanstalten gehören sollen und welche nicht. Denn aus der Rechtsprechung des EuGH geht eindeutig hervor, daß die Festlegung, was eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ist, allein den Mitgliedstaaten obliegt. In seinen Rahmenbedingungen aber, und dazu gehört auch die Finanzierung, haben sie die Grenzen der Verhältnismäßigkeit einzuhalten.. Für die Einhaltung dieser Grenzen wird man der Kommission als Hüterin des Wettbewerbs eine Kontrollfunktion nicht absprechen können. Die Kommission kann damit eingreifen, wenn die Rahmenbedingungen der Rundfunkfinanzierung so gestaltet sind, daß eine Wettbewerbsverzerrung zwischen den privaten und den öffentlich-rechtlichen Veranstaltern entsteht. Eine solche Wettbewerbsverzerrung ist in Ländern, in denen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten neben den Gebühren noch Werbeeinnahmen erzielen dürfen, nicht von de Hand zu weisen. So kann z. B. die ARD mit Hilfe eines Gebührenfinanzierten Korrespondentennetzes die Tagesschau als erfolgreichste deutsche Nachrichtensendung produzieren und in den Minuten zuvor die teuersten Werbeminuten des deutschen Fernsehens verkaufen. Ein anderes Beispiel: ARD und ZDF stellen als Argument für Fernsehwerbung bei ihnen gerne ihre hohe Reichweite von fast 100 % heraus. Auch diese wird durch Gebühren finanziert. So werden Gebühren dazu verwendet, um im Wettbewerb um Werbekunden gegenüber den Privatsendern im Vorteil zu sein. Ob die 20-Uhr-Werbegrenze ausreicht, um diese Wettbewerbsverzerrung auszugleichen, erscheint angesichts der genannten Beispiele mehr als fraglich. Im Bereich des Rundfunkwerbemarktes besteht also eine Wettbewerbsverzerrung im Sinne des Art. 90 II EGV, die der Kommission ein Eingriffsrecht beläßt.

2.3. Das Protokoll zum Vertrag von Amsterdam

Möglicherweise haben die Mitgliedstaaten in der Protokollerklärung zum Vertrag von Amsterdam, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betrifft jedoch eine Sonderregelung geschaffen, die die Rundfunkfinanzierung der Kontrollbefugnis der Kommission entzieht. So sehen es jedenfalls alle deutschen Politiker und Intendanten, die sich bisher zu dem Thema geäußert haben[29]. Der Text des Protokolls ist jedoch alles andere als klar formuliert. Für die Interpretation ist es daher wichtig, den dahinterstehenden Willen der Mitgliedstaaten zu beachten. Der kommt in einer neueren Entschließung des Rats der EU-Kulturminister[30] zum Ausdruck: Es sollte klargestellt werden, daß die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von Gemeinschaftsrecht nicht eingeschränkt wird, solange er in den Grenzen des gemeinsamen Interesses bleibt. Außerdem wird das Recht der Mitgliedstaaten, den Programmauftrag des Rundfunks selbst zu bestimmen, betont. Dieser Punkt war den Vertretern wohl ungemein wichtig, er kommt in der Entschließung insgesamt dreimal vor. Des weiteren wird die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks herausgestellt und betont, daß er an den neuen Technologien teilhaben sollte. Damit wird die Einordnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Dienst von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse bekräftigt und ein "Schattendasein" klar abgelehnt.
Dadurch bekräftigt die Protokollerklärung den bereits zu Art. 90 II formulierten Grundsatz, daß allein die Mitgliedstaaten das Recht haben, den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag festzulegen. Die Kommission hat in diesem Bereich keinerlei Kompetenz. Außerdem werden in der Entschließung Zielvorgaben deutlich, die den Fortbestand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in konkurrenzfähiger Form fordern. Dies setzt der Kommission bei der Ausübung ihrer Kontrollbefugnis weitere Grenzen. Damit wird dem Modell 3 des Van-Miert-Papiers, das auf eine Zurückdrängung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zielt, eine klare Absage erteilt. Allerdings setzt die Protokollerklärung dem Recht der Mitgliedstaaten bei der Rundfunkfinanzierung auch klare Grenzen, nämlich die Beeinträchtigung der Wettbewerbsbedingungen in einem unvertretbaren Ausmaß. Wie bereits dargestellt, besteht auf dem Rundfunkwerbemarkt eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung. Das Protokoll zum Vertrag von Amsterdam schließt daher Eingriffe der Kommission in diesem Bereich nicht aus.

2.4. Zwischenergebnis

Massive Kontrollbefugnisse für die Programmaufträge des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie in dem Papier gefordert, wären also in der Tat ein Eingriff in die Rundfunkhoheit der Länder. Dies gilt jedoch nicht für die Vorschläge zur Begrenzung der Werbeeinnahmen, denn dabei handelt es sich um die Wahrnehmung wettbewerbsrechtlicher Kontrollbefugnisse. Die Europäische Kommission hätte also durchaus die Kompetenz, wie im Van-Miert-Papier angedacht, ein Werbeverbot für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auszusprechen.


[8] vgl. Ricker / Schiwi, B RN 208
[9] Ricker / Schiwi, H RN 6
[10] vgl. Ricker / Schiwi, C RN 10 m. w. N.
[11] EuGH C-260/89, EuGRZ 1991, 274
[12] vgl. Ricker / Schiwi, C RN 11 m. w. N
[13] Dörr, S. 57 ff
[14] FK 44/98, 11
[15] Schina, State Aids under the EEC Treaty, Articles 92 to 94, RN 50
[16] vgl. EuGH 240/83, Slg 1985, 531
[17] Groeber / Thiebig / Ehlemann - Wenig, Kommentar zum EWG-Vertrag, § 92 RN 5
[18] Ring § 12 RStV RN 50
[19] ebenso: von Wallenberg, "Rundfunk und EG-Beihilferecht", Medien und Recht 98, 166
[20] Ricker / Schiwi, C RN 96 d
[21] EuGH 222/82, Slg. 1983, 4083
[22] Groeber /Thiebig / Ehlemann - Wenig, Kommentar zum EWG-Vertrag, § 92 RN 10
[23] EuGH 78/76, Slg. 1977, 595
[24] Ricker / Schiwi, C RN 92
[25] Ricker / Schiwi, C RN 77
[26] EuGH Slg. 1994, 1477 (Almelo)
[27] EuGH Slg. 1993, 2533 (Corbeau)
[28] Dörr, S. 49 f
[29] Kurt Beck, FK 40/98, 18; Reinhard Klimmt, FK 43/98, 7, Dieter Stolte, epd 78/98, 8
[30] Entschließung des Rats der EU-Kulturminister, FK 47/98, 37


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