Zusammenfassend
läßt sich sagen, daß die von der GD IV vorgestellten
Finanzierungsmodelle 2 und 3 dem Gemeinschaftsrecht eindeutig widersprechen.
Modell 2 verstößt in eklatanter Weise gegen das in Art. 90 II
normierte und in der Protokollerklärung bekräftigte
ausschließliche Recht der Mitgliedstaaten, den
öffentlich-rechtlichen Programmauftrag selbst zu bestimmen. Durch die
Hintertür ihrer wettbewerbsrechtlichen Kontrollbefugnisse versucht die
Kommission, den Mitgliedstaaten und damit in Deutschland den Bundesländern
bestimmte Programmaufträge vorzuschreiben. Das aber wäre in der Tat
ein Eingriff in die Rundfunkhoheit der Länder. Der Kommission fehlt
für derartige Eingriffe die Kompetenz.
Modell 3 liefe auf die massive Reduzierung oder gar Abschaffung des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks hinaus. Dies widerspricht eindeutig der
Zielvorgabe der Vertragsparteien, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu
erhalten, die durch die Protokollerklärung zum Vertrag von Amsterdam
Vertragsbestandteil ist. Es beruht daher auf einer Fehlinterpretation des
EU-Vertrages.
Anderes gilt jedoch für Modell 1. Durch ein Werbeverbot für den
öffentlich-rechtlichen Rundfunk greift die Kommission nicht in die
Programmgestaltung, sondern lediglich in die Finanzierung ein, deren Grenzen
sie aufgrund ihrer wettbewerbsrechtlichen Kompetenz zu überwachen hat. Ein
derartiger Eingriff wäre auch nicht verfassungswidrig, da Rundfunkwerbung
nicht unter die grundgesetzlich geschützte Programmfreiheit fällt.
Als Ergebnis dieser Analyse des Van-Miert-Papiers bleibt also übrig,
daß die Kommission in der Lage wäre, aus wettbewerbsrechtlichen
Gründen ein Werbeverbot für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
auszusprechen.
Die
Frage, ob ein solches Verbot Sinn machen würde, ist letztlich politischer
Natur. Sie wird jedoch nicht zu Unrecht in letzter Zeit immer häufiger
gestellt. Es gibt eine Reihe von gewichtigen Argumenten, die für ein
solches Werbeverbot sprechen würden:
1. Die Mischfinanzierung erlaubt es den öffentlich-rechtlichen
Sendern, ihre gebührenfinanzierten Vorteile wie hohe Reichweite und
bessere Infrastruktur im Wettbewerb um Werbekunden zu nutzen. Dies ist eine
Wettbewerbsverzerrung, die die Privatsender benachteiligt.
2. Die Beteiligung der öffentlich-rechtlichen Sender am Wettbewerb
um Werbekunden bedeutet auch eine Beteiligung am Wettbewerb um die
höchsten Einschaltquoten. Daß darunter die Qualität der
Sendungen leidet, läßt sich im Vorabendprogramm von ARD und ZDF
bereits anschaulich feststellen. Es besteht die Gefahr, daß
"Quotenkiller" wie Kultursendungen immer mehr ins Hintertreffen geraten oder in
nicht werbefinanzierte Spartenprogramme abgeschoben werden.[45] Eine solche Begrenzung der Programmvielfalt widerspricht
jedoch dem Grundversorgungsauftrag[46].
3. Durch die Teilnahme der öffentlich-rechtlichen Sender am
Werbemarkt besteht auch eine Gefahr, in Abhängigkeiten von der
Werbeindustrie zu geraten. Diese Gefahr ist nicht zu unterschätzen, wie
das Absetzen von Sendungen auf Wunsch der Werbekunden im Privatfernsehen schon
gezeigt hat. Sie wiegt auch deutlich schwerer als der Gewinn an
Unabhängigkeit gegenüber dem Staat durch Werbeeinnahmen.[47]
4. Durch den Wegfall der Werbeeinnahmen, der nicht durch
Gebührenerhöhungen ausgeglichen werden sollte, käme es zu einem
Rationalisierungsdruck bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten,
der sie letztlich wettbewerbsfähiger machen würde und den auch das
Bundesverfassungsgericht in seiner Gebührenentscheidung fordert[48]. Auf Dauer ist es nicht akzeptabel,
daß die Produktionskosten für vergleichbare Sendungen weit über
dem Niveau der Privatsender liegen.
5. Dieser Kostendruck würde auch Tendenzen bei den
öffentlich-rechtlichen Senden begrenzen, immer mehr Spartenkanäle zu
eröffnen. Diese Tendenzen sind ebenfalls wettbewerbsrechtlich bedenklich
und haben in Deutschland mit Nickelodeon bereits ein Opfer unter den
Privatsendern gefordert.
Letztlich sollte aus diesen Gründen der öffentlich-rechtliche
Rundfunk werbefrei sein. Wie dies nun erreicht wird, ob durch Änderung des
Rundfunkstaatsvertrages, wie von Sachsen angeregt[49], durch eine EU-Richtlinie oder durch die Kommission
selbst, ist wiederum eine politische Frage.
Die
Ergebnisse meines Gutachtens lassen sich in folgende Thesen fassen:
1. Im Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten
Sendern auf dem Werbemarkt besteht eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung, die
die Kommission im "Van-Miert-Papier" zurecht aufgreift.
2. Der Vorschlag, den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag der
Kontrolle der Kommission zu unterwerfen, verletzt die Rundfunkhoheit der
Länder.
3. Der Vorschlag, Sendungen im öffentliche Auftrag per
Ausschreibung zu vergeben, läuft auf eine Abschaffung des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks hinaus und verstößt gegen den
EU-Vertrag.
4. Die Kommission hat jedoch das Recht, in den Wettbewerb auf dem
Rundfunkwerbemarkt einzugreifen und den öffentlich-rechtlichen Sendern die
Werbung zu verbieten.
5. Ein solches Werbeverbot ist auch rechtlich geboten, da die
öffentlich-rechtlichen Sender die Möglichkeit haben, sich durch die
Gebühren im Wettbewerb um Werbeeinnahmen Vorteile zu verschaffen.
6. Das Werbeverbot ist auch politisch wünschenswert, da es die
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu rationellerer Produktion
zwingen und die uferlose Erweiterung durch Spartenprogramme begrenzen
würde.
7. Das Werbeverbot für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in
Europa wird früher oder später kommen.
Mischa Dippelhofer
[45] ebenso: Wilhelm, "Finanzierung des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks nur aus Gebühren",
http://www.cducsu.bundestag.de/texte/wilhe16i.htm
[46] BVerfG 1 BvR 1586/89, BVerfGE 87, 181
ff
[47] ebenso: Ricker / Schiwi, C RN 102
[48] BVerfG 1 BvL 30/88, BVerfGE 90, 60 ff
[49] FK 43/98, 8