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4. Conclusio und Standpunkt


4.1. Zusammenfassung

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die von der GD IV vorgestellten Finanzierungsmodelle 2 und 3 dem Gemeinschaftsrecht eindeutig widersprechen. Modell 2 verstößt in eklatanter Weise gegen das in Art. 90 II normierte und in der Protokollerklärung bekräftigte ausschließliche Recht der Mitgliedstaaten, den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag selbst zu bestimmen. Durch die Hintertür ihrer wettbewerbsrechtlichen Kontrollbefugnisse versucht die Kommission, den Mitgliedstaaten und damit in Deutschland den Bundesländern bestimmte Programmaufträge vorzuschreiben. Das aber wäre in der Tat ein Eingriff in die Rundfunkhoheit der Länder. Der Kommission fehlt für derartige Eingriffe die Kompetenz.
Modell 3 liefe auf die massive Reduzierung oder gar Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hinaus. Dies widerspricht eindeutig der Zielvorgabe der Vertragsparteien, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu erhalten, die durch die Protokollerklärung zum Vertrag von Amsterdam Vertragsbestandteil ist. Es beruht daher auf einer Fehlinterpretation des EU-Vertrages.
Anderes gilt jedoch für Modell 1. Durch ein Werbeverbot für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk greift die Kommission nicht in die Programmgestaltung, sondern lediglich in die Finanzierung ein, deren Grenzen sie aufgrund ihrer wettbewerbsrechtlichen Kompetenz zu überwachen hat. Ein derartiger Eingriff wäre auch nicht verfassungswidrig, da Rundfunkwerbung nicht unter die grundgesetzlich geschützte Programmfreiheit fällt.
Als Ergebnis dieser Analyse des Van-Miert-Papiers bleibt also übrig, daß die Kommission in der Lage wäre, aus wettbewerbsrechtlichen Gründen ein Werbeverbot für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auszusprechen.

4.2. Plädoyer für einen werbefreien öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Die Frage, ob ein solches Verbot Sinn machen würde, ist letztlich politischer Natur. Sie wird jedoch nicht zu Unrecht in letzter Zeit immer häufiger gestellt. Es gibt eine Reihe von gewichtigen Argumenten, die für ein solches Werbeverbot sprechen würden:
1. Die Mischfinanzierung erlaubt es den öffentlich-rechtlichen Sendern, ihre gebührenfinanzierten Vorteile wie hohe Reichweite und bessere Infrastruktur im Wettbewerb um Werbekunden zu nutzen. Dies ist eine Wettbewerbsverzerrung, die die Privatsender benachteiligt.
2. Die Beteiligung der öffentlich-rechtlichen Sender am Wettbewerb um Werbekunden bedeutet auch eine Beteiligung am Wettbewerb um die höchsten Einschaltquoten. Daß darunter die Qualität der Sendungen leidet, läßt sich im Vorabendprogramm von ARD und ZDF bereits anschaulich feststellen. Es besteht die Gefahr, daß "Quotenkiller" wie Kultursendungen immer mehr ins Hintertreffen geraten oder in nicht werbefinanzierte Spartenprogramme abgeschoben werden.[45] Eine solche Begrenzung der Programmvielfalt widerspricht jedoch dem Grundversorgungsauftrag[46].
3. Durch die Teilnahme der öffentlich-rechtlichen Sender am Werbemarkt besteht auch eine Gefahr, in Abhängigkeiten von der Werbeindustrie zu geraten. Diese Gefahr ist nicht zu unterschätzen, wie das Absetzen von Sendungen auf Wunsch der Werbekunden im Privatfernsehen schon gezeigt hat. Sie wiegt auch deutlich schwerer als der Gewinn an Unabhängigkeit gegenüber dem Staat durch Werbeeinnahmen.[47]
4. Durch den Wegfall der Werbeeinnahmen, der nicht durch Gebührenerhöhungen ausgeglichen werden sollte, käme es zu einem Rationalisierungsdruck bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, der sie letztlich wettbewerbsfähiger machen würde und den auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Gebührenentscheidung fordert[48]. Auf Dauer ist es nicht akzeptabel, daß die Produktionskosten für vergleichbare Sendungen weit über dem Niveau der Privatsender liegen.
5. Dieser Kostendruck würde auch Tendenzen bei den öffentlich-rechtlichen Senden begrenzen, immer mehr Spartenkanäle zu eröffnen. Diese Tendenzen sind ebenfalls wettbewerbsrechtlich bedenklich und haben in Deutschland mit Nickelodeon bereits ein Opfer unter den Privatsendern gefordert.
Letztlich sollte aus diesen Gründen der öffentlich-rechtliche Rundfunk werbefrei sein. Wie dies nun erreicht wird, ob durch Änderung des Rundfunkstaatsvertrages, wie von Sachsen angeregt[49], durch eine EU-Richtlinie oder durch die Kommission selbst, ist wiederum eine politische Frage.

4.3. Thesen

Die Ergebnisse meines Gutachtens lassen sich in folgende Thesen fassen:
1. Im Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern auf dem Werbemarkt besteht eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung, die die Kommission im "Van-Miert-Papier" zurecht aufgreift.
2. Der Vorschlag, den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag der Kontrolle der Kommission zu unterwerfen, verletzt die Rundfunkhoheit der Länder.
3. Der Vorschlag, Sendungen im öffentliche Auftrag per Ausschreibung zu vergeben, läuft auf eine Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hinaus und verstößt gegen den EU-Vertrag.
4. Die Kommission hat jedoch das Recht, in den Wettbewerb auf dem Rundfunkwerbemarkt einzugreifen und den öffentlich-rechtlichen Sendern die Werbung zu verbieten.
5. Ein solches Werbeverbot ist auch rechtlich geboten, da die öffentlich-rechtlichen Sender die Möglichkeit haben, sich durch die Gebühren im Wettbewerb um Werbeeinnahmen Vorteile zu verschaffen.
6. Das Werbeverbot ist auch politisch wünschenswert, da es die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu rationellerer Produktion zwingen und die uferlose Erweiterung durch Spartenprogramme begrenzen würde.
7. Das Werbeverbot für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Europa wird früher oder später kommen.
Mischa Dippelhofer


[45] ebenso: Wilhelm, "Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nur aus Gebühren", http://www.cducsu.bundestag.de/texte/wilhe16i.htm
[46] BVerfG 1 BvR 1586/89, BVerfGE 87, 181 ff
[47] ebenso: Ricker / Schiwi, C RN 102
[48] BVerfG 1 BvL 30/88, BVerfGE 90, 60 ff
[49] FK 43/98, 8


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